Fachtagung "Forschung und Technologie für autonomes Fahren" im Harnack-Haus in Berlin.

ahoi zu Gast auf der Fachtagung „Forschung und Technologie für autonomes Fahren“

ahoi Projekt News | 20.12.2023

Am 12. Dezember 2023 war es wieder so weit. Das Harnack-Haus, die Tagungsstätte der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin-Dahlem, öffnete seine Türen für die Besucher*innen der Fachtagung „Forschung und Technologie für autonomes Fahren“. Dahlem wird schon seit 100 Jahren als „deutsches Oxford“ bezeichnet, das Harnack-Haus als „Treffpunkt der Nobelpreisträger, Ort der Wissenschaft und Zentrum des wissenschaftlichen Austausches in der Gegenwart und in der Zukunft“. Genau der richtige Ort also, um über das autonome Fahren zu sprechen. Eingeladen hatten das Bundesministerium für Digitales und Verkehr, das Bundesministerium für Bildung und Forschung und das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.

Das Ziel aller Teilnehmenden: Einblicke in aktuellen Entwicklungen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik erhalten, sich mit den derzeitigen Forschungsprojekten im Bereich des autonomen Fahrens austauschen und in interaktiven Fachsessions aktuelle Herausforderungen und Lösungen diskutieren. Auch das Projekt ahoi war mit einigen Projektpartner*innen vor Ort vertreten. Wir haben mit Andreas Bahr (Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein GmbH) und Michael Preusker (PSI Transcom GmbH) über ihre Eindrücke von der Veranstaltung gesprochen.

Ein Teil des ahoi-Projektteams auf der Fachtagung „Forschung und Technologie für autonomes Fahren“ (v.l.n.r.): Andreas Bahr (VHH), Tyll Diebold (TUHH), Karoline Klein (VHH), Timon Plass (IKEM), Holger Michelmann (Interlink), Michael Preusker (PSI), Leonie Dittrich (TUHH)

Ein Teil des ahoi-Projektteams auf der Fachtagung „Forschung und Technologie für autonomes Fahren“ (v.l.n.r.): Andreas Bahr (VHH), Tyll Diebold (TUHH), Karoline Klein (VHH), Timon Plass (IKEM), Holger Michelmann (Interlink), Michael Preusker (PSI), Leonie Dittrich (TUHH)

Andreas Bahr und Michael Preusker im Interview

Herr Bahr, Herr Preusker, Sie waren stellvertretend für das Projekt ahoi auf der Fachtagung „Forschung und Technologie für autonomes Fahren“ zu Gast. Neben ahoi gibt es noch ca. 60 weitere Projekte in Deutschland, die an autonomen Shuttles forschen oder geforscht haben. Wie können wir Ihrer Meinung nach unsere Kräfte bündeln und eine effiziente Zusammenarbeit auch zwischen den Projekten gewährleisten?

Michael Preusker: Ich denke da insbesondere an die Standardisierung von Systemarchitekturen und Schnittstellen, welche auf nationaler und internationaler Ebene vorangetrieben werden muss. Dabei kommt in Deutschland den einschlägigen Verbänden wie VDV und VDA eine besondere Bedeutung zu, sich diesbezüglich zum Vorreiter und Koordinator zu machen.

Darüber hinaus sollte man in Zeiten knapper Kassen prüfen, ob durch die Zusammenlegung oder gemeinsame Administration von thematisch gleichartigen Projekten Synergieeffekte erzeugt werden können, ohne dabei die Vielfalt der Forschung einzuschränken.

Andreas Bahr: Auch ich denke, dass hier die Arbeit des VDV entscheidend sein wird. Je früher wir uns auf feste Standards einigen und sie konsequent umsetzen, desto schneller werden sich Synergieeffekte zwischen den Projekten ergeben und Kräfte bündeln lassen.

Auf der Fachtagung ging es um den Wirtschafts- und Innovationsstandort Deutschland und seine Position im Wettbewerb mit China und den USA. Wo steht Deutschland Ihrer Meinung nach im globalen Wettbewerb, wenn es um die Themen rund um das autonome Fahren geht? Ist dieser Vergleich sinnvoll?

Andreas Bahr: Meiner Einschätzung nach können die Projekte in Deutschland nur bedingt mit den Umsetzungen in China und den USA verglichen werden, da sie sich grundlegend unterscheiden. In China und den USA wollen private Firmen einen Robotaxi-Betrieb wie Uber installieren, der ÖPNV-Gedanke wird dabei, wenn überhaupt, nur sekundär vorangetrieben. In Deutschland wollen die meisten Projekte Shuttles im ÖPNV einsetzen. Die Anwendung der autonomen Fahrfunktion steht jedoch vor den gleichen Herausforderungen und ist somit vergleichbar.

Da in China und den USA bereits zugelassene PKW mit einer autonomen Fahrfunktion ausgerüstet werden und Genehmigungs- sowie Zulassungsverfahren in diesen Ländern deutlich leichter sind, kann hier von einem Wettbewerbsvorteil ausgegangen werden. Das führt dort zu sehr hohen Anzahlen von Testkilometern. In Deutschland stehen die benötigten Shuttles noch nicht zur Verfügung, so dass noch keine oder erst wenige Testkilometer vorzuweisen sind.

Michael Preusker: Die Fachtagung hat aus meiner Sicht deutlich gezeigt, dass Deutschland momentan Gefahr läuft, im globalen Wettbewerb beim autonomen Fahren den Anschluss zu verlieren. Das liegt m. E. nicht am Mangel an innovativen Ideen oder an fehlenden Fördermitteln, sondern an den rechtlichen Rahmenbedingungen. Die Hürden für die Zulassung von Prototypen autonomer Fahrzeuge sind hierzulande wesentlich höher als anderswo. Dadurch geht wertvolle Zeit verloren, die andere – siehe USA und China – bereits zur Erprobung und Verbesserung ihrer Systeme nutzen.

Podiumsdiskussion auf der Fachtagung autonomes Fahren

Den Deutschen wird oft nachgesagt, sie seien mutlos und nicht experimentell genug. Glauben Sie, die sogenannte „German Angst“ steht uns in Bezug auf das autonome Fahren im Weg? Oder sind ein ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis und Gründlichkeit von Vorteil?

Michael Preusker: Die deutsche Gründlichkeit war im Zeitalter des traditionellen Fahrzeugbaus ein Garant für den Erfolg der einheimischen Fahrzeugindustrie. Schließlich konnte man Unzulänglichkeiten oder gar einen Serienfehler bei der mechanischen Konstruktion schwer oder nur mit hohem Aufwand wieder beheben.

Seit dem Aufkommen der Elektromobilität und der zunehmenden Automatisierung verlagert sich die Wertschöpfung aber immer mehr von der Mechanik in Richtung Software. Hier ist m. E. ein anderer Ansatz erfolgversprechender. Anstatt jede mögliche Situation im Vorfeld im Labor austesten zu wollen, sollte man die Systeme auf die Straße bringen und dort „anlernen“. Die notwendigen Software-Anpassungen lassen sich dann jederzeit per Fernwartung durchführen.

Selbstverständlich muss dabei dem allgemeinen Sicherheitsbedürfnis Rechnung getragen und das Eintreten von Gefahren weitgehend vermieden werden. Eine 100-prozentige Sicherheit wird es m. E. aber auch im autonomen Fahrbetrieb nicht geben können.

Herr Bahr, Herr Preusker, was ist Ihr Fazit zur Fachtagung „Forschung und Technologie für autonomes Fahren“?

Michael Preusker: Ich habe das erste Mal an dieser Veranstaltung teilgenommen und war beeindruckt von der Vielfalt der laufenden Forschungsaktivitäten im Bereich des autonomen Fahrens. Es war für mich sehr wertvoll, einen Blick auf die verschiedenen Aspekte und Herausforderungen des autonomen Fahrens zu bekommen, und das nicht nur aus Sicht des ÖPNV als einem potenziellen Anwender, sondern auch aus Sicht der Softwareentwicklung und des Halbleiterbaus.

Andreas Bahr: Die Fachtagung war eine sehr gut organisierte und mit vielen hochkarätigen Teilnehmenden besuchte Veranstaltung. Die Fachvorträge waren absolut am Puls der Zeit. Insgesamt hat diese das autonome Fahren in Deutschland ein Stück vorangebracht und ich freue mich auf den zukünftigen Austausch mit den anderen Projekten.

Vielen Dank, Andreas Bahr und Michael Preusker, für das Gespräch.

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